Aussage gegen Aussage im Sexualstrafrecht

Die Beweiskonstellation „Aussage gegen Aussage“ ist die schwierigste für alle Beteiligten. Nirgendwo stehen sich die Aussagen zweier Beteiligter so häufig konträr gegenüber wie im Sexualstrafrecht. Natürlich, denn fast immer waren eben nur diese beiden Personen dabei, als „es“ passiert ist, infolgedessen fehlen andere Zeugen oder Beweise. Und naturgemäß erleben Menschen eine Situationen manchmal unterschiedlich. Also wer lügt?

Was ist eine „Aussage gegen Aussage“-Konstellation?

Diese Konstellation von Aussage gegen Aussage ist gerade deshalb so schwierig, weil die Tatschilderung eines sexuellen Missbrauchs oder Vergewaltigung des (möglichen) Opfers von der des Beschuldigten abweicht, ohne dass ergänzend auf weitere – unmittelbar tatbezogene – Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann.

Auch wenn der Beschuldigte selbst gar keine eigenen Angaben zu dem Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (was sein gutes Recht ist!) steht Aussage gegen Aussage, sofern es keine Beweise gibt – außer der Aussage von dem angeblichen Opfer. Denn wer Täter ist, steht erst am Ende des Strafverfahrens fest – nicht schon am Beginn.

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Freispruch im Zweifel für den Angeklagten?

Wenn sich im Strafrecht Aussage gegen Aussage unvereinbar gegenüberstehen, bedeutet dieser Umstand jedoch keinesfalls, dass der Angeklagte deshalb freigesprochen werden müsste. Der Rechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ gilt hier noch nicht. Dieser Grundsatz ist nämlich keine Beweisregel, sondern eine Entscheidungsregel. Über den Maßstab, nach dem der Richter eine Tatsache für gewiss halten darf oder muss, sagt er nichts.

Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter nicht zweifelte, obwohl er hätte zweifeln müssen, sondern erst dann, wenn er verurteilte, obwohl er zweifelte.

BVerfG, Beschluss vom 26.08.2008 – 2 BvR 553/08

Die Krux der „freien Beweiswürdigung“

Ein Richter ist in seiner Beweiswürdigung frei. Er entscheidet – im Hinblick auf die Schuld oder Unschuld des Angeklagten – allein nach seiner eigenen persönlichen Überzeugung. Ob er dem Angeklagten oder dem Zeugen glaubt, erfährt man meist erst durch das Urteil.

Die freie Beweiswürdigung stößt aber an seine Grenzen, wenn die Würdigung der Beweise oder einer Zeugenaussage in seinem Urteil lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Nicht selten jedoch entscheiden Richter nach ihrem Bauchgefühl – das ist die Wurzel allen Übels.

Es bedarf zur Überzeugung des Gerichts keine absolute oder unumstößliche Gewissheit sowie keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern lediglich einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet.

Wem glaubt das Gericht dann bei verschiedenen Aussagen?

Diese Frage ist so allgemein unmöglich zu beantworten. Das Gericht hat sich dann einen Eindruck über die Glaubhaftigkeit dieser Aussagen zu verschaffen.

Die Rechtsprechung stellt besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht. Erforderlich sind eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben.

BGH, Urteil vom 07.03.2012 – 2 StR 565/11

Die Überschätzung eigener Sachkunde

Bei einem Widerspruch zwischen mehreren Aussagen hat das Gericht darüber zu befinden, in welcher Aussage die Wahrheit letztlich ihren Ausdruck gefunden hat. So verlangt es der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung. Demzufolge kann das Gericht nicht der Aussage eines Zeugen, nur weil es möglicherweise Opfer ist, ein schon von vornherein höheres Gewicht beimessen als der des Angeklagten. Daher wird das Gericht zur Würdigung der Glaubhaftigkeit der Aussagen auf die Grundlagen der Aussagepsychologie zurückgreifen und sich im Zweifel sachverständig beraten lassen.

Nicht selten überschätzen Gerichte ihre eigene Sachkunde zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen allerdings. Dann ist es Aufgabe der Verteidigung, das Gericht mit allen Mitteln zur Einholung eines entsprechenden Gutachtens zu zwingen.

Wann ist die Zeugenaussage vom möglichen Opfer glaubhaft?

Wird jemand einer Vergewaltigung beschuldigt, kommt es maßgeblich auf die Zeugenaussage des angeblichen Opfers an. Nun ist es im Strafrecht glücklicherweise so, dass nicht der Angeklagte seine Unschuld beweisen muss. Die Staatsanwaltschaft muss darlegen, aus welchen Gründen sie diese Aussage als glaubhaft erachtet. Dafür reicht es nicht aus, bloß zu behaupten, bei dem Zeugen wäre keine übermäßige Belastungstendenz oder kein Motiv für eine Falschbeschuldigung erkennbar. Dies ist allenfalls Küchenpsychologie.

Der Rechtsanwalt darf sich mit einer solchen Einschätzung hinsichtlich eines Zeugen nicht zufriedengeben. Angeklagte dürfen im Strafrecht allein wegen der hohen Strafandrohung einer Vergewaltigung erwarten, dass Zeugenaussagen kritisch hinterfragt werden. Ebenso hat er Anspruch auf einen Strafverteidiger, der um sein Recht kämpft.

Was tun, wenn Aussage gegen Aussage steht?

Wenn Sie eine Vorladung der Polizei erhalten oder die Polizei für eine Hausdurchsuchung vor der Tür steht, helfen Ihnen die folgenden Hinweise:

Tipp 1: Schweigen Sie!

Gerade zu Unrecht beschuldigte Menschen neigen dazu, sich lieber redend verteidigen zu wollen, um zu versuchen, die Vorwürfe aufzuklären und so aus der Welt zu schaffen. Das erweist sich leider oft als falsch! Deshalb schweigen Sie zumindest so lange, bis Sie durch einen Rechtsanwalt beraten werden.

Tipp 2: Schweigen Sie auch zu Passwörtern für Ihre technischen Geräte!

Sie müssen die Polizei nicht unterstützen, deshalb lassen Sie es am besten. Die Beamten versprechen alles Mögliche, glauben Sie nichts. Auch in die Entnahme einer DNA-Probe müssen Sie nicht einwilligen, auch nicht in eine erkennungsdienstliche Behandlung.

Tipp 3: Sie brauchen einen spezialisierten Strafverteidiger!

Das Sexualstrafrecht ist ein eigenes Rechtsgebiet mit zahlreichen Besonderheiten. Gerade diese Beweiskonstellation ist eine solche Besonderheit, zu der es eine unüberschaubare Menge an Rechtsprechung gibt. Ohne Spezialkenntnisse steht der Beschuldigte schon mit einem Bein im Gefängnis, wenn er auf einen Pflichtverteidiger oder einen anderen Anwalt vertraut, der an seinem Fall eigentlich kein Interesse (maximal ein finanzielles) hat. Sie brauchen einen engagierten Strafverteidiger, der Sie mit größter Hartnäckigkeit verteidigt. Keinesfalls sollte er auf einen Anwalt vertrauen, der das Ermittlungsverfahren ungenutzt verstreichen lässt.

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Unsere Rechtsanwälte verfügen über diese notwendige Kompetenz. Sie bilden sich neben dem Strafrecht regelmäßig auch interdisziplinär fort, beispielsweise auf dem Gebiet der Aussagepsychologie, Psychiatrie und Rechtsmedizin. Wie ein menschlicher Lügendetektor analysieren wir die Zeugenaussagen auf ihre Glaubhaftigkeit.

Sofort-Kontakt sowie persönliche Ersteinschätzung

Sie haben eine Frage, die unbeantwortet geblieben ist? Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und dient nur der ersten Orientierung; ersetzt jedoch keine persönliche Beratung bei einem Rechtsanwalt. Gern geben wir Ihnen hierzu persönlich Auskunft!

Selbstverständlich begegnen wir unseren Mandanten respektvoll und vorurteilsfrei sowie unter Wahrung absoluter Diskretion. Jeder Rechtsanwalt unterliegt der Verschwiegenheit, Sie können mit uns alles besprechen, kein Anliegen muss Ihnen unangenehm sein.

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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist Aussage gegen Aussage?
Zwei Aussagen stehen sich gegenüber ohne dass es weitere Beweismittel gibt. Auch wenn der Beschuldigte zum Tatvorwurf schweigt steht Aussage gegen Aussage.

Gibt es bei Aussage gegen Aussage dann einen Freispruch?
Nein, zumindest nicht zwingend. Das Gericht wird versuchen, die Aussagen gegeneinander abzuwägen und überprüfen, welcher Aussage mehr Glauben geschenkt werden kann.

Wie entscheidet ein Richter bei Aussage gegen Aussage?
Grundsätzlich glaubt ein Richter natürlich zuerst dem vermeintlichen Opfer, denn sonst hätte er das Hauptverfahren nicht eröffnen dürfen. Denn oftmals klingt alles glaubwürdig und man fragt sich, warum die Person denn lügen sollte.

Ist eine Aussage ein Beweis?
Ja, die Aussage eines Zeugen ist ein Beweis – in Fällen von Aussage gegen Aussage sogar das einzige Beweismittel.

Wie kann ein Anwalt mir überhaupt helfen?
Ein Rechtsanwalt bekommt Akteneinsicht und kann die Aussage des angeblichen Opfers auf Glaubhaftigkeit hin überprüfen. Daher sollte man unbedingt einen Anwalt beauftragen, der sich mit Aussage gegen Aussage Konstellationen bestens auskennt – so wie wir.

Übernehmen Sie nur Fälle in Hamburg?
Nein, denn unsere Strafverteidiger sind alle bundesweit tätig. Unsere Kanzlei hat Standorte in Hamburg und Berlin, die ersten Fragen können aber auch am Telefon oder im Videochat geklärt werden. Später können Sie (wenn Sie es für notwendig halten) zu uns in die Kanzlei kommen oder wir reisen zu Ihnen (gegen Kostenerstattung).

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