Glaubwürdigkeit bei Borderline-Störung

Das Hauptanwendungsgebiet aussagepsychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist das Sexualstrafrecht, regelmäßig die Glaubwürdigkeit von Opferzeugen, wenn andere Beweise fehlen. Man spricht dann von einer sogenannten Aussage-gegen-Aussage-Konstellation.

Hierbei kommt den Aussagen des vermeintlichen Opfers eine wesentliche Bedeutung zu.

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung

Als Persönlichkeitsstörung bezeichnet man sämtliche psychische Auffälligkeiten, die zwar jeder Mensch hat, allerdings dort in einer besonders extremen Ausprägung vorliegen. Der Borderline-Typ beschreibt eine der zwei Untergruppen der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung: Personen mit dieser emotional instabilen Persönlichkeit handeln tendenziell sehr impulsiv – „ohne Rücksicht auf Verluste“ und blenden mögliche Konsequenzen ihres Handelns aus.

Instabil sind oftmals auch persönliche Beziehungen, vor allem sexuelle Partnerschaften. Diese verlaufen ebenso intensiv wie schnell wechselnd. Auch außerhalb dieser sexuellen Beziehungen kommt es schnell zu Um- sowie Neubewertungen von Personen. Der heute noch innig geliebte Vater oder Partner wird morgen als Feind erlebt. Durch ihre hohe manipulative Kompetenz klingen ihre Schilderungen zunächst glaubhaft, seien sie auch noch so abstrus und abenteuerlich.

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Folgen der Borderline-Störung für die Glaubwürdigkeit

Kennzeichnend für die Untergruppe des impulsiven Typs sind emotionale Ausbrüche und bedrohliches Verhalten. Zu dieser emotionalen Instabilität tritt beim Borderline-Typ hinzu, dass die Personen ein völlig unklares Selbstbild haben: Das Gefühl von Wertlosigkeit und innerer Leere kann Anlass für emotionale Krisen sein. Häufig sind hier Selbstverletzungen wie Schneiden und Ritzen der Haut anzutreffen, aber auch Verbrennungen mit Zigaretten. Auch können Suizidversuche ohne einen konkreten äußeren Anlass vorkommen.

Die (noch) unbekannte Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung führt bei der Bewertung der Glaubwürdigkeit zu schwierigen Problemen sowie zu Falschbeschuldigungen. Selbst erfahrene Fachärzte können die Erkrankung nicht zuverlässig erkennen. Denn dafür müssten sich die Patienten offenbaren, was sie aber gerade nicht tun. So werden lediglich Depressionen, unbestimmte Ängste oder psychosomatische Beschwerden diagnostiziert.

Borderline und selbstverletzendes Verhalten

Bei bekannter Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung oder selbstverletzendem Verhalten als deren äußere Manifestation, wird das Gericht ein aussagepsychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten einholen müssen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in nunmehr bereits mehreren Entscheidungen deutlich gemacht hat, exemplarisch:

Selbstverletzendes Verhalten ist in der Regel Ausdruck einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

BGH, Beschluss vom 06.02.2002 – 1 StR 506/01

Weitere Entscheidungen zur Glaubwürdigkeit bei Personen mit Borderline-Störung haben wir in einer Rechtsprechungsübersicht zusammengestellt.

Glaubwürdigkeit bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung

Zwar gelten Menschen mit einer Borderline-Personlichkeitsstörung nicht als zuverlässige Zeugen. Dies kann aber wiederum nicht dazu führen, ihnen per se nicht zu glauben. Deren Aussage bedarf erhöhter Aufmerksamkeit dahingehend, dass die Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit spezifisches Fachwissen erfordert, die ein psychiatrischer Sachverständiger dem Gericht vermitteln muss:

Der besonderen Sachkunde gerade eines Psychiaters bedarf es aber, wenn die Glaubwürdigkeit dadurch in Frage gestellt ist, dass er an einer geistigen Erkrankung leidet. Denn die Beurteilung solcher krankhafter Zustände setzt besondere medizinische Fachkenntnisse voraus, die der (Nur-)Psychologe nicht besitzen kann.

BGH, Urteil vom 21.05.1969 – 4 StR 446/68

Insbesondere muss die Entstehungsgeschichte ihrer Aussage aufgeklärt werden, um die Entstehung von komplexen autobiografischen Scheinerinnerungen und fremdsuggestiven Anregungen und Verstärkungen durch Dritte ausschließen zu können.