Der entgegenstehende Wille im Sexualstrafrecht

Nach der Verschärfung im Sexualstrafrecht durch die Einführung von „Nein heißt Nein“ ist nicht das „Nein“, sondern vielmehr der entgegenstehende Wille und dessen Erkennbarkeit das zentrale Element im Tatbestand des § 177 StGB, also bei einem sexuellen Übergriff, der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung.

Unbeachtlich ist dagegen seitdem, ob und wie das angebliche Opfer Widerstand geleistet hat und ob Gewalt angedroht oder eingesetzt wurde. Relevant ist nunmehr lediglich, dass die Handlung gegen den erkennbaren Willen geschehen ist, was aus Sicht eines objektiven Dritten, also eines außenstehenden Beobachters, zu beurteilen sein soll.

Als geglückt kann man die Umsetzung des Gesetzgebers allerdings nicht bezeichnen. Die Umsetzung führt in praktischer Hinsicht zu vielerlei Problemen:

Schutz der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit

Geschützt ist durch die Neuregelung entsprechend die Freiheit eines Jeden, zu jeder Zeit selbst zu bestimmen, ob sexuelle Handlungen erwünscht sind oder nicht und außerdem, jederzeit diesen Willen zu ändern. Die vorige Zustimmung sowie in welcher Beziehung die Beteiligten zueinander stehen, ist ohne Bedeutung. Auch vorige Abreden oder vereinbarte Gegenleistungen spielen keine Rolle bei der Bewertung des entgegenstehenden Willens.

Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens

Der entgegenstehende Wille muss für die andere Person erkennbar sein. Es genügt nicht, sich lediglich zu denken, man wolle die sexuelle Handlung nicht. Der entgegenstehende Wille muss durch das Opfer ausdrücklich oder zumindest unmissverständlich durch das eigene Handeln klargestellt werden, z.B. durch Weinen, Sich-sträuben oder Gegenwehr.

Erkennbar ist der entgegenstehende Wille, wenn er eindeutig feststellbar und hinreichend belegbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn andere objektive Umstände zur Behauptung des entgegenstehenden Willens hinzutreten. Solche Umstände sind z.B. Abwehrverletzungen, wie Kratzwunden und Hämatome, welche von der Tat herrühren können. Ferner könnte der entgegenstehende Wille durch das Rufen nach Hilfe verdeutlicht werden, was später in der Regel auch nachweisbar ist, sofern andere Menschen in der Nähe sind.

Erhebliche Beweisprobleme, wenn Aussage gegen Aussage steht

Liegen solche weiteren Umstände nicht vor oder kann nicht eindeutig belegt werden, dass es sich um eine Verletzung aufgrund der Tat handelt, wächst der Druck auf das Opfer. Nun muss es glaubhaft in einer – in aller Regel emotional sehr belastenden – Aussage belegen, dass es den entgegenstehenden Willen dem Täter gegenüber auf die eine oder andere Art erkennbar kundgetan hat. Ob dies dem Gedanken des Opferschutzes tatsächlich förderlich ist, sei dahingestellt. Da es sich zumeist um eine „Aussage-gegen-Aussage“-Konstellation handelt, entstehen häufig jedoch erhebliche Beweisprobleme.

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Der

Der entgegenstehende Wille und ambivalentes Verhalten

Grundsätzlich ist – eine Zwangslage ausgenommen – jedem zuzumuten, seinen eigenen Willen klar und deutlich auszudrücken. Ansonsten wird man sich die Frage gefallen lassen müssen, warum man seinen Willen nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat.

Die Schwerpunktsetzung auf einen entgegenstehenden Willen hat bei widersprüchlichem Verhalten des Geschädigten nicht zu einer Klärung der rechtlichen Situation geführt.

Passives „Erdulden“ sexueller Handlungen

Äußert das Opfer zunächst, keine sexuellen Handlungen zu wollen, wirkt danach allerdings anstelle eines rein passiven „Erduldens“ aktiv an den sexuellen Handlungen mit, ist dies mit einem angeblichen entgegenstehenden Willen unvereinbar.

Gerade im sozialen Nahbereich, wo beide Personen sich kennen, wird man eine deutliche Äußerung der Ablehnung erwarten dürfen. Jedenfalls wäre die Begründung, man habe „Todesangst“ gehabt und deshalb den Willen nicht deutlich geäußert, nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, wenn man diese Person mit zu sich nach Hause genommen hat oder mit ihm mitgegangen ist und dieser auch nicht gedroht oder sonst einen Anlass für diese Angst gesetzt hat. Schließlich wird ein Anwalt vielleicht argumentieren, dass ein „Nein“ nicht in jedem Fall eine endgültige Ablehnung bedeuten müsse.

Der entgegenstehende Wille und der Vorsatz

Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz. Der Täter muss selbst davon ausgehen, dass das Opfer mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist. Der Gesetzestext legt zwar nahe, dass der Täter lediglich die Umstände erkannt haben muss, aus denen der objektive Dritte im Gegensatz zu ihm die richtigen Schlüsse gezogen hat. Dieser Deutung ist jedoch nicht zu folgen, denn das Sexualstrafrecht kennt keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit.

Bestehen vernünftige Zweifel, ob der Beschuldigte den entgegenstehenden Willen kannte, fehlt es am Vorsatz. So kann z.B. eine erhebliche Alkoholisierung dafür sprechen, dass der entgegenstehende Wille tatsächlich nicht (mehr) wahrgenommen wird.

Möglichkeit der Falschbeschuldigung

Nicht jeder Anwalt wird für seinen Mandanten so argumentieren wollen, wenn doch das vermeintliche Opfer behauptet, deutlich „Nein“ gesagt zu haben. Es ist aber die Aufgabe des Verteidigers, entsprechende Zweifel zu erkennen und diese der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht deutlich zu machen. Nie darf die Möglichkeit einer Falschbeschuldigung außer Acht gelassen werden, denn es kommt entgegen verbreiteter Ansicht immer wieder vor, dass eine Vergewaltigung frei erfunden ist.

Der entgegenstehende Wille in § 177 StGB

Bereitet schon die generelle Frage nach der Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens im Einzelfall erhebliche Probleme, verstärkt die Systematik des § 177 StGB diese deutlich.

Gemäß § 177 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer gegen den erkennbaren Willen sexuelle Handlungen an einer Person oder von ihr vornehmen lässt. Strafbar ist es auch, wenn das Opfer gegen seinen Willen zu einem Sexualkontakt mit einer dritten Person bestimmt wird.

„Bestimmen“ hat im normalen Sprachgebrauch die Bedeutung von „zu etwas veranlassen“, „drängen“ oder „bewegen“. Es ist nicht ersichtlich, wie eine Person „gegen ihren Willen“ zu etwas bestimmt werden kann, ohne dass sie in irgendeiner Weise unter Druck gesetzt und das heißt „genötigt“ wird, zumindest durch Drohung mit einem empfindlichen Übel.

Der entgegenstehende Wille bei der sexuellen Nötigung

Während § 177 Abs. 1 StGB den sexuellen Übergriff ohne Nötigungselement regelt, ist die sexuelle Nötigung in § 177 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 StGB sowie § 177 Abs. 5 StGB erfasst.

Die Systematik der neuen Vorschrift ist ganz und gar nicht als gelungen zu bezeichnen. Die Reform und der Fokus auf dem erkennbar entgegenstehenden Willen beseitigen hier keine Wertungswidersprüche, sondern schaffen vielmehr neue Problemfelder für alle Beteiligten. Die Ermittler sind oft bereits nicht in der Lage, eine zutreffende juristische Einschätzung des Sachverhalts zu treffen, von den Betroffenen ganz zu schweigen. Wichtig ist es daher, bereits frühzeitig einen Strafverteidiger aufzusuchen. Aufgrund der dargelegten Probleme ist zu empfehlen, sich an einen spezialisierten Fachanwalt zu wenden.

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