Falschbeschuldigung und Borderline

Die Borderline-Störung – genauer gesagt die emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ – spielt im Zusammenhang mit einer Falschbeschuldigung im Sexualstrafrecht eine zentrale Rolle. Psychisch auffällige Menschen neigen nachweislich häufiger dazu, ihnen nahestehende Personen einer Sexualstraftat zu beschuldigen.

Diese Falschbeschuldigung erscheint zunächst oft völlig unverständlich, trifft es meist den Vater, Bruder, Onkel oder (Ex-) Lebenspartner. In Konstellationen, in denen Aussage gegen Aussage steht, stellt sich deshalb grundsätzlich die Frage nach der Glaubwürdigkeit, denn der Zeuge ist wegen seiner Lebendigkeit und Empathie häufig beliebt – verfügt aber über eine äußerst hohe manipulative Kompetenz. Da sich auf den ersten Blick aber kein Motiv für eine Falschbeschuldigung findet wird ihnen geglaubt, klingen die Schilderungen noch so abstrus und abenteuerlich. Die Glaubwürdigkeit wird schlicht nicht hinterfragt.

Was ist eine Borderline-Persönlichkeitsstörung?

Persönlichkeitsstörungen sind psychische Auffälligkeiten, die bei Patienten mit Borderline in wesentlich stärkerem Ausmaß vorliegen als bei gesunden Menschen. Der Borderline-Typ beschreibt eine Untergruppe der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung: Personen mit emotional instabiler Persönlichkeit handeln sehr impulsiv, ohne Rücksicht auf Verluste und blenden mögliche Konsequenzen des Handelns aus. Wechselnde Stimmungen kennzeichnen den Alltag, wobei es keinen konkreten Anlass braucht. Infolgedessen wechselt die Gemütslage von jetzt auf gleich von „himmelhoch jauchzend“ in „zu Tode betrübt“.

Oftmals sind auch persönliche Beziehungen instabil, vor allem sexuelle Partnerschaften. Diese verlaufen ebenso intensiv wie schnell wechselnd, wobei es auch hier schnell zu Um- und Neubewertungen von Personen kommt. Der heute noch innig geliebte Vater oder Partner wird schon morgen als Feind wahrgenommen, der bekämpft werden muss.

Borderline und selbstverletzendes Verhalten

Typisch für die zweite Untergruppe des impulsiven Typs sind emotionale Ausbrüche und bedrohliches Verhalten. Zu dieser emotionalen Instabilität tritt beim Borderline-Typ hinzu, dass die Personen ein undefiniertes Selbstbild haben: Das Gefühl von Wertlosigkeit sowie innerer Leere kann Anlass für emotionale Krisen sein. Hier sind häufig Selbstverletzungen mittels Schneiden und Ritzen der Haut vorzufinden, zudem Verbrennungen mit Zigaretten. Genauso kommen Suizidversuche ohne konkreten äußeren Anlass signifikant häufiger vor.

Selbstverletzendes Verhalten ist in der Regel Ausdruck einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

BGH, Beschluss vom 06.02.2002 – 1 StR 506/01

Nach dem Bundesgerichtshof geben derartige Verletzungen in der Regel Anlass, die Glaubhaftigkeit des Zeugen genauer untersuchen zu lassen. Hierfür ist vom zuständigen Gericht oder der Staatsanwaltschaft ein psychiatrischer Sachverständiger hinzuzuziehen.

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Diagnose einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung

Die Diagnose der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ bietet bereits aufgrund der mit dieser Diagnose verbundenen Symptomatik zahlreiche Ansatzpunkte, die für eine aussagepsychologische Begutachtung relevant sein können. Deshalb sind diese aufzuklären.

Dieses Störungsbild kennzeichnet grundsätzlich eine besondere Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild, in den Affekten und Impulsivität. Nach DSM-5 müssen für die Diagnose fünf der im Folgenden neun genannten Kriterien vorliegen.

Kriterien für die Diagnose einer Borderline-Störung
  1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlasseneren zu vermeiden,
  2. ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch Wechsel zwischen den Extremen Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist,
  3. Identitätsstörung, d.h. ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung,
  4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Ausgeben von Geld, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle),
  5. wiederholte suizidale Handlungen, Sudizidandeutungen oder -drohungen oder selbstverletzendes Verhalten,
  6. affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmung gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern),
  7. chronisches Gefühl von Leere,
  8. unangemessene und heftige Wut sowie Schwierigkeiten, diese Wut zu kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen),
  9. vorübergehende durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Folgen der Erkrankung

Die Beeinträchtigung des Selbstbildes kann zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung und dadurch zu einer veränderten Wahrnehmung einer Situation führen, insbesondere im Verhältnis zu anderen Personen. Häufig anzutreffen ist die Einnahme einer Opferrolle. Diese geht zwangsläufig einher mit einer Schuldzuschreibung gegenüber anderen Personen.

Außerdem versuchen Personen mit Borderline-Symptomatik bei einer Konfrontation mit Widersprüchen oder unrealistischen Angaben, ihre dahingehend getätigten Aussagen zu korrigieren oder anzupassen, wobei bewusst falsche Angaben gemacht werden. Daraus wird der Schluss gezogen, dass die in der aussagepsychologischen Begutachtung sonst gängige Grenzziehung zwischen Irrtum und Lüge nicht mehr greift, sondern dass es hier einen „Übergangsbereich zwischen Erinnerung, bewusster Lüge und Scheinerinnerung1 gibt, zwischen denen sich der Zeuge mehr oder weniger bewusst bewegt.

Typische Begleiterkrankungen bei Borderline

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung hat – wie die fast alle Persönlichkeitsstörungen – eine sehr hohe Komorbiditätsrate. Borderline kommt selten (bis gar nicht) alleine vor. Bei der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD-10: F60.31) wird regelmäßig mindestens eine (oder mehrere) komorbide Störung diagnostiziert, u.a.

  • Depressionen
  • Substanzmittelmissbrauch oder Abhängigkeitserkrankungen
  • Angststörungen, Angstneurosen und Phobien
  • Essstörungen (Magersucht, Bulimie, Binge-Eating)
  • Zwangsstörungen
  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S)

Beim Vorliegen einer Begleit-Symptomatik sollte ein Sachverständiger (Facharzt für Psychiatrie) hinzugezogen werden, um die Aussagetüchtigkeit des Zeugen zu begutachten.

Fehlurteile im Zusammenhang mit der Borderline-Störung

In der Vergangenheit hat eine unerkannt gebliebene oder unzureichend gewürdigte Borderline-Persönlichkeitsstörung zu einer ganzen Reihe von Fehlurteilen geführt. Symptome der psychiatrischen Erkrankung werden als Folge der vermeintlichen Tat fehlinterpretiert und nicht als Ursache einer möglichen Falschaussage in Betracht gezogen. Dadurch erliegt das Gericht einem Zirkelschluss, denn wie können die zuvor beschriebenen Auffälligkeiten die Folge eines Missbrauchs sein, den es möglicherweise gar nicht gegeben hat.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach mit der Glaubhaftigkeit von psychisch auffälligen Zeugen beschäftigt. Diesen „Auffälligkeiten“ lag regelmäßig eine Borderline-Persönlichkeitsstörung zugrunde.

Sie haben eine Vorladung von der Polizei erhalten?

Von dem Vorwurf erfährt ein Beschuldigter meistens erst durch die Vorladung der Polizei. Manchmal steht die Polizei auch zuerst mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür. Die Polizei erhofft sich von der Hausdurchsuchung Spuren oder Beweismittel zu finden, die den Vorwurf beweisen sollen. Was kann man tun? Wie kann man sich dagegen wehren?

Tipp 1: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!

Um die falschen Vorwürfe aus der Welt zu schaffen, neigen zu Unrecht Beschuldigte dazu, sich „redend“ zu verteidigen. Diese Strategie stellt sich später oftmals als falsch heraus! Deshalb machen Sie besser von Ihrem Schweigerecht Gebrauch, jedenfalls bis Sie sich mit einem Rechtsanwalt beraten konnten.

Tipp 2: Geben Sie der Polizei keine Passwörter für Computer oder Smartphone!

Alles erscheint verdächtig und soll nun gegen Sie verwendet werden. Lassen Sie die Polizei ihre Arbeit machen, unterstützen diese aber nicht dabei. Während einer Durchsuchung verspricht man Ihnen viel, glauben Sie nichts! Auch in die Entnahme einer DNA-Probe sollten Sie nicht freiwillig einwilligen, darüber hinaus auch nicht in eine erkennungsdienstliche Behandlung. Sie haben zwar nichts zu verbergen, aber das ist erst einmal egal!

Tipp 3: Sie brauchen einen spezialisierten Strafverteidiger!

Klar, guter Rat ist immer teuer. Aber schlechter Rat kostet Sie (im schlimmsten Fall) die Freiheit. Das Sexualstrafrecht ist ein kompliziertes Rechtsgebiet, das große Expertise erfordert. Sie benötigen nun einen engagierten Strafverteidiger, der Sie vertrauensvoll und vorurteilsfrei berät und mit größter Hartnäckigkeit verteidigt. Denn gerade wer unschuldig ist, braucht die besten Anwälte!

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Sie haben eine Frage, die unbeantwortet geblieben ist? Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und dient nur der ersten Orientierung; ersetzt jedoch keine persönliche Beratung bei einem Rechtsanwalt. Gern geben wir Ihnen hierzu persönlich Auskunft!

Selbstverständlich begegnen wir unseren Mandanten respektvoll und vorurteilsfrei sowie unter Wahrung absoluter Diskretion. Als Rechtsanwalt unterliege ich der Verschwiegenheit, Sie können daher mit mir alles besprechen, kein Anliegen muss Ihnen unangenehm sein.

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  1. Steller/Böhm: Glaubhaftigkeitsbegutachtung bei Persönlichkeitsstörungen, FPPK 2008, 101 [105] []